Erstmals nach sechs Jahren verpasste der FC Liverpool wieder den Einzug in die UEFA Champions League. Dies könnte mit dem Abgang des Starspielers Sadio Mané zum FC Bayern oder dem etwas misslungenen Sommertransferfenster zusammenhängen. Es war klar, dass Maßnahmen an der Anfield Road ergriffen werden mussten. Die Frage war, ob ein Kaderumbau oder ein Trainerwechsel in Betracht gezogen werden sollte, um dem Verein neue Impulse zu geben. In den vergangenen Tagen ist nun bekannt geworden, dass Jürgen Klopp den Verein am Ende der laufenden Saison verlassen wird.
Als er Borussia Dortmund verließ, war er dort eine Legende und begann dann im Oktober 2015 seine Rolle als Cheftrainer des FC Liverpool. Während seiner Amtszeit führte er den Verein zu großen Erfolgen, darunter der Gewinn der UEFA Champions League im Jahr 2019, was als bisher größter Erfolg seiner Trainerkarriere gilt. Ebenso führte er Liverpool zum Gewinn des ersten Meistertitels seit 30 Jahren. Klopp hinterlässt somit ein beeindruckendes Vermächtnis beim FC Liverpool, geprägt von historischen Erfolgen und einer tiefen Verbindung zu den Fans.
Was änderte man im Sommer am Kader?
Eine Änderung fand statt und Jürgen Klopp erhielt noch mehr Befugnisse. Er durfte seinen Kader nach seinen Wünschen formen und holte zusätzlich Jörg Schmadtke als Sportdirektor hinzu. Dieser sollte ihm bei der Umgestaltung des Kaders helfen, um dann erneut um den Titel in der Premier League kämpfen zu können, anstatt ein weiteres Jahr in der Europa League zu verbringen.
Den Verein verließen namhafte Spieler wie Alex Oxlade-Chamberlain, Fabinho, Roberto Firmino, Kapitän Jordan Henderson und James Milner. Nur um einige zu nennen, die die erste Phase unter Klopp bis zum ersten Titelgewinn in der Premier League im Jahr 2020 seit 1989 geprägt haben.
Im Gegenzug musste das Mittelfeld verstärkt werden, daher wurden Dominik Szoboszlai (RB Leipzig), Ryan Gravenberch (FC Bayern), Wataru Endo (VfB Stuttgart) und Alexis Mac Allister (Brighton) geholt, um das Herzstück komplett zu erneuern.
Was änderte Klopp spielerisch?
Jürgen Klopp war auch während seiner Zeit in Dortmund für seinen intensiven Umschaltfußball bekannt. Dabei wurde versucht, durch ein aggressives Pressing in der gegnerischen Hälfte Fehler zu erzwingen und mit wenigen Pässen vor dem gegnerischen Tor aufzutauchen. Klopp äußerte sich einst dazu:
Gegenpressing sorgt dafür, dass man den Ball näher am gegnerischen Tor erobert. Dann ist man nur einen Pass von einer richtig guten Möglichkeit entfernt. Kein Spielmacher auf der Welt kann so gut wie eine Gegenpressing-Situation sein. Deshalb ist das so wichtig.
In der Saison 2022/23 hatte der FC Liverpool erhebliche Probleme in der Verteidigung. Verglichen mit anderen Mannschaften in der Premier League lag man nur im 23. Perzentil und die hohe Anzahl an Gegentoren (47 Gegentore) zeigte deutlich, dass eine defensive Stabilisierung notwendig war. In dieser Saison hat Liverpool bisher nur 18 Gegentore (Stand: 31.01.2024) kassiert, was die wenigsten Gegentore von allen Vereinen in der Liga bedeutet.
Auch die normalerweise starke Arbeit gegen den Ball war keine Stärke mehr des FC Liverpool. Das Pressing war nicht mehr so intensiv wie zuvor und es fehlte an Physis, weshalb kaum noch Zweikämpfe gewonnen werden konnten. In diesem Jahr verzeichnet Liverpool den niedrigsten PPDA-Wert (Pässe pro defensive Aktion), der die Qualität des Pressings beschreibt und angibt, wie viele Pässe der Gegner spielen kann, bevor ein Ballverlust erzwungen wird.
Der größte Unterschied bei Liverpool fällt jedoch auf, wenn man betrachtet, was die »Reds« als agierende Mannschaft auf den Rasen bringen. Das hat natürlich viel damit zu tun, dass das Mittelfeld komplett umgebaut wurde. Fabinho, Henderson und Milner wurden durch Szoboszlai, Endo und Mac Allister ersetzt, die jeweils hervorragend mit dem Ball umgehen können und dem ballbesitzorientierten Fußball gut zu Gesicht stehen. Liverpool hat den zweithöchsten Possessionwert in der Premier League und die drittmeisten angekommenen Pässe.
Und auch vor dem Tor kann der FC Liverpool überzeugen. Obwohl Darwin Núñez als Stürmer bisher nicht ganz überzeugen kann, erzielen die »Reds« durchschnittlich 2,26 erwartete Tore pro Spiel. Außerdem schaffen sie es mit dem viertbesten Wert von Touches im Strafraum pro 90 Minuten oft genug in den Sechzehner und in die gefährlichste Zone des Spielfeldes.
Liverpool spielt in einem 3+2-Aufbau, bei dem Trent Alexander-Arnold seine Position als Rechtsverteidiger auf andere Art interpretiert, invers einrückt und als spielöffnender Sechser das Spiel gestaltet. Die Abläufe variieren immer relativ stark. Manchmal gesellt sich zu einem sehr weit aufgestellten Achter noch ein Flügel hinzu und mit einem der Sechser sowie dem Innenverteidiger bildet sich eine Raute, um viele Anspielstationen wie zum Beispiel bei Leverkusen zu schaffen. Die andere Variante ist es, dass bei hohem Pressing die erste Linie mit einem diagonalen Ball überspielt wird, um Raum zu gewinnen und die schnellen Außenspieler in Szene zu setzen.
Kann Klopp zum zweiten Mal englischer Meister werden?
Kurze Selbsteinschätzung: Ja, der FC Liverpool kann Meister der Premier League werden. Das Rennen um die Meisterschaft ist so offen wie schon lange nicht mehr. Manchester City wirkt so schwach wie noch nie unter Pep Guardiola, der FC Arsenal kann trotz Verstärkungen nicht in jedem Spiel so auftreten wie im letzten Jahr und Tottenham hat große Verletzungssorgen. Außerdem ist Jürgen Klopp ein erstklassiger Trainer, der immer noch hungrig nach Titeln ist und seine Mannschaft mit der ausgewogensten Taktik in der Liga auf den Platz schickt. Weitere Verstärkungen sind auch nicht ausgeschlossen. Nur um einen Namen in der Gerüchteküche zu nennen: Ich finde Piero Hincapié von Bayer 04 Leverkusen wäre ein sehr passender Spieler für Jürgen Klopps Team, da er als Linksverteidiger im Aufbau die Rolle des linken Halbraumverteidigers übernehmen könnte.
Ob sich Jürgen Klopp dieses Jahr mit einem Titel aus Liverpool verabschieden kann, bleibt abzuwarten – so oder so hat er sich mit seinen Leistungen seit 2015 als vermutlich bester deutscher Premier-League-Trainer aller Zeiten gefestigt und wird in Liverpool nie vergessen werden.