Vom Spielertrainer in Pipinsried in die beste Liga der Welt: Als Spieler in der Jugend des FC Bayern aktiv, konnte er nie den Sprung zum Profi schaffen. Stattdessen hat er nach weiteren Stationen bei Zweitvertretungen von Profimannschaften seine Trainerkarriere als Spielertrainer in der fünften Liga begonnen, ehe er nach einer Zeit beim DFB zum FC St. Pauli gewechselt ist. Dort wurde er 2020 Co-Trainer unter Timo Schultz und nach dessen Entlassung im Winter 2022 zum Cheftrainer befördert. Mit einem beeindruckenden Punkteschnitt von 2,16 in 55 Spielen führte er die Kiezkicker nach über einem Jahrzehnt zurück in die Bundesliga, was selbstverständlich auch das Interesse größerer Vereine geweckt hat und wurde Cheftrainer von Brighton – einem der spannendsten Fußballprojekte Europas. Fabian Hürzeler gilt als das größte Trainertalent Deutschlands und Europas. Der in Houston geborene Coach hat bereits Erfolg und strebt nach noch mehr.
Wir können mit Fug und Recht behaupten: Die Entscheidung für ihn war ein absoluter Glücksfall. — Andreas Bornemann im November 2023 über Hürzeler
Brighton-Umbruch mit Hürzeler – wie hat er seinen Kader in England gebaut?
Brighton steht seit Jahren für herausragendes Scouting und allgemein gute Arbeit. Mit einem großen Scouting-Netzwerk, welches weit über die Grenzen Europas hinausgeht, entdeckt Brighton jedes Jahr die Talente, die anderen Clubs niemals auffallen würden. Nur um ein paar Beispiele zu nennen: Moises Caicedo aus Ecuador, Kaoru Mitoma aus Japan oder Alexis Mac Allister aus Argentinien. Dabei setzen sie auf eine weitreichende Datenanalyse und eine lange Beobachtung des Spielers.
Der »Brighton-Hype« begann richtig in der Saison 2022/23 mit Graham Potter, der mit seinem aufregenden fußballerischen Ansatz an der Küstenstadt so überzeugen konnte, dass er nach Thomas Tuchels Entlassung beim FC Chelsea als dessen Nachfolger designiert wurde. Auf Potter ist Roberto De Zerbi gefolgt, der mit seinem taktischen Ansatz als einflussreichster Trainer des jetzigen Jahrzehnts gilt. Er hat Guardiolas »Positional-Play«-Ansatz erweitert, sodass auch andere Trainer, unter anderem Fabian Hürzeler bei St. Pauli, den »Brighton Ball« als Inspiration für ihre Taktik genutzt haben. Nach zwei erfolgreichen Jahren wollte de Zerbi jedoch eine neue Herausforderung annehmen und hat den Verein um Freigabe gebeten. Der Italiener coacht nun Olympique Marseille und scheint seinen Erfolg auch beim französischen Traditionsverein fortsetzen zu können. Klar war es aber, dass Brighton auf einen Abgang De Zerbis bestens vorbereitet ist und einen Nachfolger vorstellen wird, der seinen Weg weitergehen kann. Hürzeler hat sich nach der Anfrage des Premier League-Clubs dann extrem darum bemüht, St. Pauli verlassen zu dürfen und wurde Mitte Juni vorgestellt.
Brighton war auf dem Transfermarkt besonders aktiv. Es war der erste Sommer, in dem der Verein – mit Ausnahme von Pascal Groß – keinen wichtigen Spieler verloren und stattdessen kräftig investiert hat. Georgino Rutter, Brajan Gruda, Mats Wieffer, Ferdi Kadioglu, Matt O’Riley, Ibrahim Osman, Malick Yalcouye und Yankuba Minteh – allesamt spannende Profile und zum Teil die interessantesten Talente auf ihren Positionen, sind für rund 230 Millionen Euro in die englische Küstenstadt gewechselt.
Wie lässt Hürzeler seine Mannschaft spielen – Analyse
Der jüngste Premier-League-Trainer aller Zeiten bleibt zwar in der Grundidee dem Ansatz De Zerbis treu. Jedoch verbindet er diesen mit einem anderen Konzept, indem seine Spieler mehr Freiheiten erhalten und weniger strikt an das Positionsspiel gebunden sind.
Hürzelers Grundformation bei St. Pauli war ein 3-4-3, hat sich jedoch bei Brighton zu einem klassischen 4-2-3-1 geändert. Im Ballbesitz wandelt sich diese Formation zu einem 2-3-2-3/5-0-5. Das Hauptziel dieses Systems ist es, Überzahl in der letzten Linie zu schaffen und Raum im Mittelfeld zu eröffnen. Dabei kann der Torwart – ähnlich wie im Tim Walter/Thiago Motta-System – auch in die erste Linie rücken und sich am Aufbau beteiligen. Ziel ist es, in der ersten Aufbauphase den Gegner zu hohem Pressing zu provozieren und den resultierenden Druck bespielen zu können.
Wenn der Gegner hoch anläuft, haben Hürzelers Mannschaften zwei Optionen: Entweder das Pressing überspielen und den Ball in die letzte Linie bringen oder über das inverse Einrücken der Außenverteidiger das Zentrum besetzen und die zweite Linie in den Aufbau einbinden. Wichtig dabei ist, dass die Spieler möglichst pressingresistent sind und im progressiven Spiel nach vorn ihre Qualitäten haben.
Wenn der Gegner allerdings Hürzelers präferiertem Plan nicht entgegenkommt, sich nicht ins Pressing locken lässt und einen Low-block spielen lässt, kommt Plan B zur Geltung, welcher aus meiner Sicht, aber noch etwas ausgereifter werden muss. Hier lässt der 31-Jährige das Mittelfeld doch besetzen und lässt seine Mannschaft allgemein etwas tiefer spielen. Von da aus sollen die gegnerischen Linien flach überspielt werden.
Die letzte Linie ist stets ausreichend besetzt und kann – je nach gewünschtem Risiko – weiter verstärkt werden. Die Spieler nutzen freie Räume, besetzen das Zentrum und halten die Breite. Dabei bleibt die Formation flexibel. Im gezeigten Bild agiert Brighton in einem 2-2-6-System.
Um Brightons Ballbesitz noch mit Zahlen zu untermauern: Hürzelers Mannschaft spielt die fünftmeisten Pässe pro Ballpossesion (5,19), hat die viertbeste Passquote (87,47 %), hat den höchsten xG-Wert (2,18) und die viertmeisten Angriffe aus dem Openplay (30,75 pro 90) in der Premier League. (Quelle: datamb.com)
Es mag den Anschein erwecken, dass Hürzelers Mannschaften durch ihren offensiven Ansatz defensiv anfälliger sind. Dieser Gedanke ist jedoch völlig falsch – in den sechs Pflichtspielen für Brighton weist seine Mannschaft eine beeindruckende Tordifferenz von 13:4 auf. Die defensive Stärke der Mannschaft hängt mit einer gut ausgeklügelten Phase des Vier-Phasen-Modells nach Louis van Gaal zusammen: Sobald der eigene Ballbesitz endet, werden die Angreifer sofort zu Verteidigern. Dies hilft einerseits, die geringe Restabsicherung ausreichend zu schützen, und kann andererseits durch die hohe Pressingintensität zu frühen Ballgewinnen führen, mit denen sofort weiter angegriffen werden kann. Sollte dies nicht gelingen, wird schnell auf Abwehrmodus umgeschaltet und in einem 5-2-3/4-3-3-Block agiert. Mit einem hohen Angriffspressing soll erreicht werden, dass der Gegner kaum Spielprogression erzielt und immer wieder gezwungen wird, den Spielaufbau neu zu beginnen. Auf lange Bälle ist die Abwehrkette ebenfalls gut vorbereitet: Sie steht relativ hoch und verengt den bespielbaren Raum so, dass effektiv auf Abseits gespielt werden kann.
Auch hier kann die defensive Stärke durch Statistiken verdeutlicht werden: Brighton hat den zweithöchsten Passes per defensive action-Wert (7,79) und die beste Zweikampfquote (70,33 %) der Premier League. (Quelle: datamb.com)
Kommt mit Hürzelers Anstellung die feste Etablierung in der Premier League Top-6?
Brighton und sein neuer Trainer blicken auf einen absoluten Traumstart zurück. Mit jeweils zwei Siegen und zwei Unentschieden sind die »Seagulls« noch ungeschlagen und belegen den sechsten Tabellenplatz. Die Tatsache, dass sie bereits gegen Topteams wie Arsenal und Manchester United gespielt haben, unterstreicht ihre Fähigkeit, mit den Großen der Liga mitzuhalten. Hürzelers starker Einstand wurde zudem mit dem Titel «Premier League Manager des Monats» gekrönt.
Nicht zu vergessen ist ebenfalls, dass Hürzeler auch noch gar nicht auf viele seiner neuen Spieler zurückgreifen kann. Ferdi Kardioglu hat im EFL gegen Wolverhampton am vergangenen Mittwoch sein Debüt gegeben, Minteh rotiert zwischen Startelf und Bank, Wieffer ist bisher nicht fest gesetzt und Brajan Gruda sowie Matthew O’Riley sind noch nicht fit. So könnte die Top-Elf aussehen:
Mit dieser Startelf kann und wird Brighton & Hove Albion definitiv oben mitspielen. Hürzeler wird mit zunehmender Erfahrung als Trainer noch besser werden. Ein Vergleich mit Klopp mag zwar etwas hinken, dennoch sollte man Hürzeler als großes Trainertalent betrachten, dessen Entwicklung kaum Grenzen gesetzt sind. Aus Vereinssicht kann Hürzelers Verpflichtung als weitere hervorragende Entscheidung gesehen werden, nachdem es zunächst aussichtslos erschienen war, De Zerbi adäquat zu ersetzen. Ein Top-6-Finish halte ich in dieser Saison für durchaus möglich, da der Transfersommer erneut nahezu ideal verlaufen ist und der Kader nochmals verstärkt wurde.