Die effektivste Pressingmaschine Europas – wie Iraolas Bournemouth zu einem Premier League Topteam geworden ist

Der AFC Bournemouth fliegt eigentlich eher unter dem Radar in der Premier League. Allerdings fällt bei einem Blick auf die Tabelle auf, dass die »Cherries« nach 24 Spielen auf Rang 7 stehen und von Dezember bis Januar ungeschlagen geblieben sind. Besonderes Aufsehen erregte der Club dadurch, dass er sowohl Arsenal als auch Manchester City in der Hinrunde schlagen konnte.

Die Premier League-Geschichte Bournemouths ist noch nicht sonderlich lang – die erste Saison im englischen Oberhaus spielten sie 2015/16. Der Aufstiegstrainer ist kein Unbekannter und hört auf den Namen Eddie Howe, der heute ebenfalls sehr erfolgreich Newcastle United trainiert. Nach vier Jahren in der Premier League stiegen sie ab und mussten für zwei Jahre mit der Championship vorliebnehmen. 2022 konnte man mit Scott Parker dann den erneuten Aufstieg feiern. Im selben Jahr wechselten die Besitzrechte des Clubs zum US-Amerikaner Bill Foley, der auch zum Vorstand neben seiner Investorenrolle aufstieg. Dass die »Cherries« eine derart starke Entwicklung nehmen konnten, hängt mit der Schlüsselpersonalie dieses Artikels zusammen: Im Sommer 2023 wurde der Spanier Andoni Iraola als neuer Trainer vorgestellt, der Bournemouth in der letzten Saison ins gesicherte Mittelfeld führte und fortan den Club entwickeln soll.

Kaderentwicklung – meine drei Schlüsselspieler im Check

Drei Spieler, die exemplarisch für Bournemouths positive Entwicklung stehen, sind Dean Huijsen, Dango Ouattara und Justin Kluivert.

Radar von Dean Huijsen (datamb.com)

Mit Dean Huijsen kam im Sommer ein großes Innenverteidigertalent, welches bei Juventus Turin keine Zukunft mehr gesehen hatte. Knapp ein halbes Jahr nach dem abgeschlossenen Transfer nach England gilt er weltweit als eines der größten Talente auf seiner Position. Der Spanier bringt mit seinen 1,97 m und seiner Athletik ein interessantes physisches Profil mit. Dabei ist der aufregendste Teil, seine Fähigkeiten am Ball. Er ist zwar erst 19 Jahre alt, aber in den Kategorien Ballcarrying und Passspiel schon einer der besten im Spiel. Huijsen bricht ohne Probleme gegnerische Linien, dribbelt dadurch vom ersten bis ins letzte Drittel oder findet seine Kollegen mit einem Pass. Außerdem ist er auch noch ein starker Zweikämpfer und weist die zweitbeste Quote bei gewonnenen defensiven Duellen in der gesamten Premier League auf. Gerade mit seinem Partner Ilya Zabarnyi, der auch als großes Talent gilt, bildet er ein starkes Duo und ist schon in seinem Alter ein Schlüsselspieler für Iraolas Bournemouth.

Radar von Dango Ouattara (datamb.com)

Dango Ouattara wird in dieser Saison von seinem Trainer zu einem »Pressing Striker« geformt und lief zuvor ziemlich unter dem Radar. Der aus Burkina Faso stammende Flügelspieler wurde in der letzten Saison auch vereinzelt als Wingback eingesetzt. Mit dem Ausfall von Evanilson, der im Sommer aus Porto kam, brauchten die »Cherries« aber jemanden, der Iraolas Pressing spielen kann. Wettbewerbsübergreifend kann Ouattara acht Tore und vier Vorlagen aufweisen und seine Fähigkeiten als Stürmer unter Beweis stellen. Mit seiner Physis kann er Bälle festmachen, ist dennoch mobil, kann mit Tempo in freie Räume am und abseits des Balles vorstoßen und verwertet seine Chancen. Seine beste Eigenschaft ist jedoch seine Intensität gegen den Ball und seine Fähigkeit, Bälle abzufangen (Bestwert der Liga).

Radar von Justin Kluivert (datamb.com)

Die beeindruckendste Entwicklung seit seinem Wechsel nach England zeigt der Sohn einer Barça-Legende: Justin Kluivert ist nach zahlreichen Stationen bei verschiedenen Vereinen endlich auf der großen Bühne angekommen. Der Niederländer hat als Flügelspieler bereits 15 Scorerpunkte gesammelt und spielt die beste Saison seiner Karriere. Kluivert ist zwar weiterhin ein limitierter Offensivspieler, der nicht als alleinige Offensivwaffe fungiert, kann aber im Zusammenspiel mit den richtigen Mitspielern glänzen. Seine größte Stärke liegt mittlerweile in seinem herausragenden Abschluss, der sich in seiner starken Goal-conversion-Rate, dem Prozentsatz der Torschüsse, die erfolgreich zu einem Tor führen, im Verhältnis zur Gesamtzahl der Torschüsse, widerspiegelt. Im flexiblen System Iraolas kann Kluivert häufig als Schattenstürmer agieren, ohne sich auf Kreativaufgaben aus den Halbräumen oder von der Außenbahn konzentrieren zu müssen.

Bei diesen Spielern bleibt es aber nicht: Bei Eli Junior Kroupi hat Bournemouth Ernst gemacht. Das französische Talent wurde am Deadline-Day verpflichtet und zurück nach Lorient verliehen. Aber auch der bereits erwähnte Zabarnyi steht für den eingeschlagenen Weg. Bournemouth scoutet in ganz Europa und wirbt die besten Talente frühzeitig an. Unter Iraola sollen sich diese Spieler dann in das Schaufenster für Topclubs spielen.

Andoni Iraola, das nächste große Trainertalent? – wie spielt der AFC Bournemouth?

Die Paradedisziplin der Überraschungsmannschaft der Premier League ist die Phase des gegnerischen Ballbesitzes bzw. des gegnerischen Umschaltens auf Ballbesitz. Jedoch sollte der grundlegende taktische Ansatz und die Phase des eigenen Ballbesitzes nicht zu kurz kommen:

Die Grundformation der »Cherries« ist ein 4-2-3-1. Gerade im offensiven Teil dieser Formation gibt es keine klare Ordnung. Die Dreierreihe hinter dem Stürmer ist sehr flexibel und dort wird auf Positionsrotationen gesetzt.

Bournemouth Grundordnung
Grundordnung 4-2-3-1
Ordnung mit Ball

Mit Ball verfolgt Iraola eine klare Idee – vertikales Spiel nach vorn. Die Innenverteidiger, insbesondere Dean Huijsen, sind dabei die wichtigsten Aufbauspieler. Sie erzielen Raumgewinn entweder durch Andribbeln oder gezielte lange Bälle. Huijsens offensiver Einfluss zeigt sich besonders darin, dass er im europäischen Vergleich zu den besten Innenverteidigern bei tor- und schusserzeugenden Aktionen zählt. Diese Ordnung im Ballbesitz schafft zudem viele Verbindungen zwischen den Spielern, was ein direktes Spiel nach vorn ermöglicht.

Das System des AFC ist stark auf die Flügel ausgerichtet. Die Außenverteidiger rücken weit auf, wobei besonders auf der linken Seite mit dem Flügelspieler und Milos Kerkez eine Überzahl geschaffen wird. Im letzten Drittel soll der Ball von den Außenbahnen in die Halbräume gespielt werden, von wo aus Chancen kreiert werden können. Bei Flanken setzt Bournemouth auf eine hohe Strafraumbesetzung und attackiert gezielt alle wichtigen Zonen im Strafraum.

Das 2:0 gegen ManCity – eine Flanke von der rechten Seite, die Offensivkräfte stürmen in die Box und Evanilson wird auf der Höhe des Elfmeterpunktes gefunden und erzielt das Tor. (Quelle: https://youtu.be/XjJIGrxpBp8)
Balleroberungen im letzten Drittel: Bournemouth auf Platz 1 im Premier League-Vergleich (Quelle: fotmob.com)

Die große Paradedisziplin von Iraolas Mannschaft ist die Phase des gegnerischen Ballbesitzes und das Umschalten nach Ballverlust. Die offensive Staffelung ermöglicht es, bei hohen Ballverlusten direkt ins Gegenpressing überzugehen und dem Gegner die Chance zur Neuordnung zu nehmen. Kann sich der Gegner jedoch ordnen, etwa bei einem Abstoß des gegnerischen Torwarts, setzt der spanische Trainer auf ein hohes Angriffspressing – hier verzeichnet das Team die meisten Balleroberungen im letzten Drittel pro 90 Minuten in der Premier League. Der Stürmer attackiert den Strafraum, um den Raum zu verkleinern, während die Mittelfeldspieler dahinter mannorientiert agieren. Die Sechser rücken im Pressing zusätzlich auf, um mindestens eine Gleichzahl herzustellen. Wird diese Pressinglinie überspielt, kann es zwar gefährlich werden, doch dieses Risiko wird durch das Nachrücken aller verfügbaren Spieler minimiert. Das primäre Ziel ist, den Raum im Zentrum zu schließen und den Gegner auf die Flügel zu lenken.

Hohes Pressing: Evanilson stellt zwei Passoptionen weitesgehend zu, weitere Spieler stellen Gegner zu, sind jedoch auch sofort bereit Passwege zu attackieren. Gegen Arsenal, die flach herausspielen wollen, der Jackpot. Christie fängt den Ball ab und kreiert eine Möglichkeit.
(Quelle: https://youtu.be/eDH0Ab8ankI)

Wo steht Bournemouth am Ende der Saison? – ein Blick in die Zukunft

Bournemouth war sicherlich nicht die Mannschaft, die jeder Fußball-Fan auf dem Zettel hatte, wenn es um die diesjährigen besten Mannschaften der stärksten Liga der Welt ging. Was die Frage der Berechtigung dieser Platzierung betrifft, muss man dem AFC jedoch zugestehen, dass sie genau dort stehen, wo sie hingehören. Zwar spielen einige Akteure an ihrem absoluten Leistungsmaximum oder sogar darüber hinaus – dies ist allerdings das direkte Resultat der hervorragenden Arbeit von Andoni Iraola. Das vom Spanier etablierte Pressing gehört zu den durchdachtesten und griffigsten Taktiken, die es aktuell in Europa gibt. Mit seinem eher weniger komplexen Ballbesitzspiel gelingt es ihm, die Stärken seines Kaders optimal zur Geltung zu bringen und jeden Spieler in seiner idealen Rolle einzusetzen.

Diese Erfolge wecken natürlich Begehrlichkeiten, weshalb mehrere Clubs ihr Interesse am Erfolgscoach zeigen werden. Der sportlichen Führung des Clubs ist jedoch zuzutrauen, dass sie auf einen möglichen Abgang des Trainers vorbereitet ist. Auch der eingeschlagene Weg in der Kaderplanung erweist sich als richtig, und die Scoutingabteilung verdient besonderes Lob für ihre Fähigkeit, Talente frühzeitig zu erkennen und die richtigen Transfers zu empfehlen.

Abschließend eine Prognose für das Ende der Saison: Ich tippe, dass Bournemouth sich für die Conference League qualifizieren wird.