Der Neue im »Theatre of Dreams« – Rúben Amorim im Check

Dienstag, 5. November 2024, kurz vor 23 Uhr deutscher Zeit – Daniel Siebert pfeift das Champions-League-Spiel zwischen Sporting Lissabon und Manchester City ab. Ein Spiel, das auf dem Papier eigentlich klar für den englischen Meister entschieden sein sollte, endet mit 4:1 für die Portugiesen. Der scheidende Sporting-Trainer Rúben Amorim hat das Trainer-Mastermind Pep Guardiola besiegt und ausgecoacht. Kein Wunder also, dass Zuschauer vom portugiesischen Trainer begeistert sind, der im Sommer auch mit dem FC Liverpool in Verbindung gebracht wurde. Besonders interessant an dieser Personalie ist jedoch, dass der Stadtrivale der Citizens, Manchester United, Amorim als ten Hag-Nachfolger präsentiert hat. Er wird in der Länderspielpause die Leitung des kriselnden englischen Giganten übernehmen.

Amorim war bis 2017 selbst noch aktiver Spieler und kann auf eine beachtliche Karriere zurückblicken. Für die portugiesische Nationalmannschaft lief er 14-mal auf und hat den Großteil seiner Laufbahn bei Sportings Stadtrivalen Benfica verbracht. Als Mittelfeldspieler war er zwar nie einer der Stars, aber stets ein wichtiger Kaderspieler. Seine erste bedeutende Trainerstation hatte Amorim bei der zweiten Mannschaft von Sporting Braga, wo er nach kurzer Zeit zum Cheftrainer der ersten Mannschaft befördert wurde. Dort überzeugte er so sehr, dass Sporting auf ihn aufmerksam wurde und ihn verpflichtet hat. In seiner Debütsaison 2021 führte er Sporting Lissabon zur ersten Meisterschaft seit 2002. Auch in der vergangenen Saison ist es seiner Mannschaft, angeführt vom Stürmerstar Viktor Gyökeres gelungen, den Meistertitel zu verteidigen.


Für welchen Fußball steht Rúben Amorim?

Ich würde Amorim der Gruppe der neuen talentierten Top-Coaches rund um Xabi Alonso und Roberto De Zerbi zuordnen. Alle setzen auf gute Positionierungen ihrer Spieler und ein dynamisches Spiel mit Ball.

Die bevorzugte Grundformation des Coaches ist ein 3-4-3, bzw. 3-4-2-1, welches sich im Ballbesitz zu einer 3-2-5-Struktur ändert, was mit sehr hochschiebenden Außenverteidigern ermöglicht wird. Diese Struktur ist im System Amorims allerdings nicht fest, sondern sehr variabel: Auch der Torwart kann im Spiel mit Ball eingebunden werden, was situativ bedeuten kann, dass dieser den Dreieraufbau auffüllt, wenn ein Innenverteidiger ins Mittelfeld vorrückt oder die offensive Breite halten soll. Gegen den Ball soll diese 3+x-Absicherung defensive Stabilität bringen, die gerade seiner neuen Mannschaft in Manchester gut zu Gesicht stehen sollte.

Amorims Spiel soll sehr vertikal sein und möglichst schnelles und direktes Überspielen der gegnerischen Linien fokussieren. Dabei wird der Ball von den aufbaustarken Innenverteidigern oft in den Druck hereingespielt und sich auf engem Raum mit direkten Pässen herauskombiniert, wobei Steil-Klatsch-Bälle ein beliebtes Mittel sind.

Wenn der Gegner eher ruhiger gegen den Ball anläuft, agiert Amorims Mannschaft dementsprechend auch etwas weniger vertikal, um den Gegner entweder doch zum Pressing zu provozieren oder sich durch die Linien zu kombinieren. Dann gibt es auch mehr Rotationen und viele Bewegungen zwischen den Linien, um möglichst viel Progression zu erreichen. Dabei füllen verschiedene Offensivspieler das Mittelfeld auf und nutzen hier ebenfalls gute Bälle in den Gegnerdruck. Hier können durch das Ein- oder Ausrücken der Spieler im Zentrum vertikale Linien entstehen, die das Bilden von Dreiecken oder anderen Formen begünstigen, wenn sich weitere Spieler einbinden.

Vertikale Linien, die den Aufbau von Amorims Fußball begünstigen.

Wie bereits erwähnt, setzt der 39-Jährige auf sehr hochstehende Wingbacks. Die sollen die gegnerische Struktur nach dem Durchschieben in die letzte Linie brechen. Das Zentrum soll in der Regel im Fußball geschlossen sein, weil dort die Möglichkeit einer gefährlichen Aktion höher ist als in der Breite. Jedoch können lange Bälle hinter die Kette bei hochstehenden Mannschaften als gefährliche Waffe dienen, wenn die Wingbacks schlagartig einrücken und dann frei auf das Tor anlaufen. Damit versucht Amorim das Mittelfeld des Gegners möglichst stark aufzulösen, sodass sein Zentrum anspielbar ist.

Grafische Darstellung zu Amorims taktsichen Abläufen

Zur defensiven Einstellung ist zu sagen, dass sich die Flügelverteidiger in eine Fünferkette fallen lassen. Dabei ist er doch auch sehr flexibel, kann seine Teams hoch oder auch verhaltener anlaufen lassen, was jedoch völlig gegnerabhängig ist.


»Match made in heaven« oder Umbruch nötig? – Passt der Kader zu Amorim?

Ein kompletter Umbruch ist nicht nötig, da dieser im Kader und im gesamten Verein bereits in vollem Gange ist. Seit dem Sommer wurden die alten, maroden Strukturen in der Kaderplanung, im Scouting und in der Geschäftsführung aufgebrochen. Ein Prozess, der eng mit dem Einstieg von Ineos-Chef Jim Ratcliffe zusammenhängt. Künftig setzt der Verein auf moderne Arbeitsweisen und datenbasiertes Scouting, ähnlich wie es aufstrebende Premier-League-Vereine wie Brighton oder Brentford vormachen.

Im Kader hat sich ebenfalls einiges getan: Mit Matthijs de Ligt, Leny Yoro, Noussair Mazraoui, Manuel Ugarte und Joshua Zirkzee wurden überwiegend junge, entwicklungsfähige Spieler verpflichtet. Doch wie gut passen diese Neuzugänge und der bestehende Kader zum neuen Coach?

Amorim benötigt für seinen Spielstil technisch versierte Fußballer mit einem breiten Skillset am Ball und einem hohen Fußball-IQ. Im Tor dürfte es wenig Sorgen geben, da André Onana in seiner Zeit bei Inter Mailand bewiesen hat, dass er als zusätzlicher Aufbauspieler agieren kann. Die voraussichtliche Dreierkette aus Leny Yoro, Matthijs de Ligt und Lisandro Martínez ist am Ball – mit Ausnahme von de Ligt – mindestens durchschnittlich. Hier wird Amorim vermutlich seinen Fußball an die Fähigkeiten der vorhandenen Spieler anpassen müssen. Ein weiterer aufbaustarker Innenverteidiger, vergleichbar mit Sportings Abwehrchef Diomande, könnte von den Red Devils noch in Zukunft adressiert werden.

Das zentrale Mittelfeld stellt die größte Baustelle dar, obwohl Amorim mit Manuel Ugarte auf einen ehemaligen Schützling trifft. Seit seinem Wechsel zu PSG hat Ugarte besonders mit Ball nicht zu seiner alten Stärke zurückgefunden. Kobbie Mainoo muss der neue Trainer ebenfalls einplanen, doch es fehlt ein richtiger Strukturgeber, der die beiden jungen Spieler entlasten kann. Für die Wingbacks und Außenstürmer hat Amorim hingegen genügend Optionen zur Verfügung. Auch im Sturm bieten sich ihm zwei interessante Alternativen: Rasmus Højlund und Joshua Zirkzee sollen in die Rolle des Viktor Gyökeres schlüpfen. Während der Däne dem Spiel mehr Tiefe verleiht, lässt sich Zirkzee besser ins Kombinationsspiel einbinden. Dies bedeutet, dass beide Stürmer bei null anfangen und Amorim seinen Stammstürmer erst noch finden, fördern und formen muss.

Potenzielle Aufstellung für Amorims United

Mit Amorim zurück zu alter Stärke? – die United-Zukunft

Manchester United ist die größte Red Flag im europäischen Fußball

Arian Azim in der Podcastfolge »Auslosung im DFB-Pokal, Nuri Sahin darf hoffen & Zweitliga-Update« in Bezug auf einen Transfer von Gyökeres zu Manchester United.

So kann man die derzeitige Lage beim wahrscheinlich größten Verein auf der Insel bezeichnen. Der Umbruch hat, wie erwähnt, schon angefangen und mit Amorim wurde ein potenzieller Elite-Trainer verpflichtet. Wenn ihm die passenden Profile für seinen Fußball noch gegeben werden, könnte United zu alter Stärke zurückkehren, aber das benötigt eine Sache – Zeit und Geduld, die jeder im Verein dem portugiesischen Trainertalent zugestehen sollte.